Präsenz trifft Ego

Übersetzung: Elmar Kruithoff

Im Original erschienen in: The Focusing Connection, January 2009

Was ist “Ego”? Ist “Ego” etwas schlechtes, das ausgemerzt werden sollte? Diese Frage höre ich im Moment ziemlich oft, also habe ich mal ein wenig nachgeforscht.

Ich habe herausgefunden, dass es zwei sehr verschiedene Definitionen von “Ego” gibt. Der Freud’sche Term „Ego“ bezieht sich auf den “strukturierten Teil der Persönlichkeit” (nach Wikipedia), und das beinhaltet die bewusste Wahrnehmung. Außerdem gibt es das buddhistische Ego, und darauf scheinen sich die Fragen meistens zu beziehen. “Ego im buddhistischen Sinne unterscheidet sich sehr vom Freud’schen Ego. Das Ego im Buddhismus ist eine Ansammlung von mentalen Ereignissen… (siehe “An Overview of Buddhism” von Mike Butler)

Ich fand eine ganze Anzahl von Texten, in denen “Ego” im buddhistischen Sinne sehr negativ behandelt wird. Es liest sich so, als ob dies etwas ist, was man besser nicht haben sollte. Zum Beispiel: “Die tiefste Bedeutung der Unwissenheit ist der Glaube in, das Identifizieren mit und das Festhalten an dem Ego, welches wie wir gesehen haben, nichts als ein flüchtiges mentales Phänomen ist.” (“Ego and Desire,” www.mathri.com)

Eckhart Tolle ist einer dieser Autoren. In seinem Buch A New Earth schreibt er: “Das Ego neigt dazu, Haben mit Sein gleichzusetzen: Ich habe, also bin ich. Und je mehr ich habe, desto mehr bin ich. Das Ego lebt von Vergleichen. […] Das Ausmaß der Unfähigkeit des Ego sich selbst zu erkennen und zu sehen, was es tut, ist erstaunlich und unglaublich.”

Diesen Systemen zufolge gibt es also etwas, das “das Ego” genannt wird – und es wird mit so viel Geringschätzung darüber gesprochen, dass man annimmt, dieses “Ego” ist schlecht und sollte ausgemerzt werde,

Ein Prozess, nicht ein Objekt

Wenn man diese Autoren genauer liest, dann wird klar, dass keiner von ihnen tatsächlich dazu rät, zu einem Teil von sich etwas zu sagen wie “Böses Ego! Verschwinde!” Der Buddhismus gliedert sich auf in einen achtfachen Pfad, der u.a. positive Praktiken lehrt, wie die richtige Sichtweise, richtige Intention usw. Tolle empfiehlt einen Wahrnehmungsprozess, der der jetzigen Moment unterstreicht. (Zum Beispiel sagt er auch „Es gibt nichts was du tun kannst, um dich von dem Ego zu befreien.“)

Aber warum entsteht beim Lesen dieser Autoren solch eine starke Tendenz, einen Aspekt von uns so schlecht zu behandeln und anzunehmen, dass es eine gute Idee wäre, zu versuchen es auszumerzen?

Ich denke, dass es mit der Benennung (labeling process) selbst zu tun hat. Was im Kern ein Prozess ist wurde benannt – ein Nomen, ein Etikett. Füge den verachtenden Tonfall hinzu und es entsteht eine klassisches „Verbannen“ eines Aspekts des Selbst.

Wenn das Problem die Benennung ist, was ist dann die Lösung? Ich würde sagen, dass es um eine Veränderung der Sprache geht – und diese neue Sprache bringt eine deutliche Veränderung hinsichtlich dessen mit, wie wir das fragliche Phänomen verstehen, wie wir es behandeln und wie wir damit interagieren.

Anstatt zu sagen “Mein Ego sagt …” oder “Das ist ja nur der Wunsch meines Egos”, wie wäre es stattdessen mit: “Etwas in mir sagt …“ oder „Etwas in mir möchte …“ Indem wir es so ausdrücken, fangen wir an uns dafür zu interessieren, von seiner Warte aus gesehen. Wir machen einen ersten Schritt hin zu einer inneren Beziehung, die zu seiner Transformation führen kann.

Und wenn es einen anderen Aspekt in uns gibt, der dagegen Einspruch erhebt, dann können wir uns dem auch mit freundlichem Interesse zuwenden. Vielleicht entdecken wir, dass ein Anteil von uns es ablehnt, interessiert und mitfühlend mit dem Aspekt zu sein, der “Ego” genannt wird; weil es der Überzeugung ist, dass der “Ego”-Anteil unvebesserlich, unveränderbar schlecht und falsch ist. Ich kann nicht anders als daran zu denken, wie ähnlich dies zu manchen sozialen oder politischen Überzeugungen ist: “Rede bloß nicht mit dieser Person (oder mit dieser Art von Person), weil die so [BENENNUNG] sind.“ So stagnieren wir, innerlich und auch im Außen..

Angst und Ego

Ich erinnere mich an ein Radiointerview mit einer bekannten New Age Autorin. Sie sagte “Durch Angst halt das Ego uns klein.” Von meiner Art zu denken enthält dieser Satz Annahmen, die wahrscheinlich nicht zu einer Veränderung beitragen. In anderen Worten: Wenn man die Welt so sieht, dann stagniert man.

Wie bemerkenswert sich all das ändert, wenn wir anstatt das Wort “Angst” zu benutzen davon sprechen würden wie “etwas in mir verängstigt ist.“ Dann fangen wir an, wieder interessiert daran zu werden, was passieren würde wenn man es (dieses Etwas) besser kennenlernen würden. Dieselbe Art von Veränderung passiert, wenn wir „Ego“ als Prozess und nicht als Objekt behandeln. “Etwas in mir scheint etwas anders in mir klein halten zu wollen.“ Wie interessant! Ich frage mich, was es eigentlich erlebt, dass es das so gerne möchte. (Und ich werde das nicht durch Bücherlesen herausfinden oder durch den Besuch einer Vorlesung über „Ego“. Ich muss mich nach innen wenden und diesen Aspekt zu einem Gespräch einladen, in dem ich der Zuhörer bin … weil ich nicht im Voraus weiss, wie die Antwort lauten wird.)

Präsenz und “Ego”

Präsenz oder Selbst-in-Präsenz (Self-in-Presence), wie Barbara McGavin und ich es jetzt nennen, ist die verkörperte Fähigkeit, mitfühlend und interessiert da zu sein für was immer in uns auftauchen mag. “Was immer auftauchen mag” beinhaltet auch das, was „Ego“ genannt wird. Als präsentes Selbst (Self-in-Presence) bewerten wir nicht als gut oder schlecht, beurteilen nicht und benennen nicht. Beurteilen, bewerten und benennen sind Erfahrungen des partiellen Selbst (partial-self), welches den inneren Kampf und damit auch unser Stagnieren aufrechterhält. Eugene Gendlin sagt es so: „Wir denken, dass wir gut werden, indem wir unsere negativen Gefühle nicht erlauben. Aber das hält sie statisch, Jahr für Jahr dasselbe.” (Let Your Body Interpret Your Dreams, S. 178)

Sobald wir mit einem Aspekt von uns identifiziert sind, welches das Bedürfnis hat zu bewerten und zu benennen und andere Aspekte auszumerzen, dann stagnieren wir. Tragischerweise verhalten wir uns dann zwar mit der Intention uns zu retten, ohne aber Erfolg damit zu haben.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich sage nicht, dass Buddhismus zu Stagnation führt! Mißverständnisse oder eine falsche Anwendung scheinen die Probleme zu sein. Es mag außerdem Schwierigkeiten mit manchen Unterrichtsarten geben, aber das kann ich natürlich nicht beurteilen.

Soviel weiß ich: Jeglicher Aspekt unseres Erlebens ist auf unsere Seite, versucht uns zu helfen, egal wie negative er erscheinen mag. Dies beinhaltet auch das, was wir „Ego“ nennen, was wir „Kritiker“ nennen und was wir „Verstand“ nennen. Es geht um die mitfühlende Begleitung durch unser präsentes Selbst (Self-in-Presence), durch die eine Verbindung zur Lebensenergie jeglicher unserer Aspekte herstellt werden kann.