Selbst-Focusing
Uebersetzung: Heinz Urban
Focusing Journal 10 / 2003
DAF Wuerzburg, Ludwigstr. 8a, D-97070 Wuerzburg – www.focusing-daf.de
Original: Ann Weiser Cornell und Barbara McGavin
Wir haben uns im FocusingJournal 7/2001 und 9/2002 mit praktischen Aspekten des PartnerschaftliÂchen Focusing beschaeftigt. Dieser Text von Ann Weiser Cornell und Barbara McGavin gibt nun direkte Hinweise, wie man allein, also auch ohne einen Partner, fokussieren kann. Dieses Selbst-Focusing ist vielleicht die wichtigste Anwendung von Focusing ueberhaupt, denn sie ist jederzeit im persoenlichen und beruflichen Alltag moeglich.
Fuer die meisten Menschen ist Focusing allein mit sich selbst schwieriger als Partnerschaftliches FocuÂsing. Dennoch kann man Selbst-Focusing erlernen. Und das ist sehr lohnenswert, weil dadurch Focusing ein lebenslanger Begleiter in jedem Augenblick Ihres Lebens wird.
Hindernisse und Schwierigkeiten beim Selbst-Focusing
Zeit dafuer finden
Das erste Hindernis beim Selbst-Focusing besteht darin, sich dafuer die Zeit zu nehmen. Man kann sich dabei ertappen, wie man beispielsweise zu sich sagt:
- Heute habe ich dazu keine Zeit, aber morgen sicher…
Halten Sie sich eine kurze Zeitspanne frei – beispielsweise fuenf oder zehn Minuten – um zu fokussieren. Auch wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit nur ein paar Minuten pro Tag nach innen lenken, werden Sie Ihre Erfahrungen im Focusing vertiefen und Ihre Fertigkeiten steigern. - Ich fuehle mich am Ende des Tages zu muede oder zu gestresst.
- Nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit, um nachzuspueren, um welche Art Muedigkeit oder Stress es sich handelt. Lassen Sie die Muedigkeit oder den Stress einfach zu und leisten Sie ihr/ihm fuer eine kleine Zeit Gesellschaft. Sie koennten auch einen Blick darauf werfen, wenn Sie ein paar freie Minuten haben und nicht so muede sind. Vielleicht waehrend der Dusche am Morgen.
- Meine Familie/Partner usw. lassen mir fuer so etwas keinen Raum.
Sie koennten im Bad fokussieren (das meine ich ernst). Sie koennten sich aber auch die Zeit nehmen, um ueber ‚das Ganze’ ihrer Familie zu fokussieren: dass sie nicht moechte, dass Sie fokussieren und wie Ihre Reaktionen darauf sind. - Ich kann nicht ruhig sitzen, sondern springe sofort auf, um zu erledigen, was mir gerade einfaellt.
Nehmen Sie sich ein Stueck Papier und einen Stift, um aufzuschreiben, was noch alles zu tun ist. Stehen Sie nur auf, wenn es etwas wirklich Dringendes zu erledigen gibt.Und nun zwei allgemeine Vorschlaege: - Fokussieren Sie (wenn notwendig, mit einem Partner) auf den Teil in Ihnen, der sich nicht auf Focusing einlassen moechte.
Es kann sein, dass Sie ueberrascht sind, was da auftaucht: Sie haben vielleicht angenommen, zu wenig Zeit oder Platz zu haben. Stattdessen ist es etwas wie Angst oder ein Widerstreben, nach innen zu gehen. Vielleicht, weil Sie nicht tief in etwas eindringen moechten ohne die Sicherheit und den Halt einer Focusing-Partnerschaft. Es kann aber auch etwas ganz anderes sein. Was es auch immer sein mag, es anzunehmen wie es ist, wird ein grosser Schritt in Richtung einer positiven Aenderung sein. - Das Fuehren eines Focusing-Tagebuches hilft bei dem Vorsatz, regelmaessig zu fokussieren.
Einen sicheren Rahmen schaffen
Das zweite Haupthindernis beim Selbst-Focusing ist das Beduerfnis nach so etwas wie Sicherheit und Struktur oder wie wir es nennen, der ‚Beschaffenheit der Rahmenbedingungen’.
Mein Focusing geht nicht sehr tief,
wenn ich alleine fokussiere.
Einige Vorschlaege:
- Nehmen Sie sich zu Beginn einer Sitzung etwas Zeit, um sich zu vergewissern, dass Sie auch wirklich ‚da’ sind. Spueren Sie, wo es sich in Ihrem Koerper gut, offen, fliessend, weit anfuehlt.
- Sie haben bereits erfahren, wie hilfreich die Anwesenheit eines Begleiters waehrend einer Focusing-Sitzung ist. Nehmen Sie sich Zeit, damit sich Ihr Koerper erinnern kann, wie es sich anfuehlt, wenn man einen Partner hat. Jemanden, der einen unterstuetzt, einen freien inneren Raum zu behalten. Laden Sie dann dieses Gefuehl ein, bei Ihnen zu bleiben, waehrend Sie Focusing fuer sich allein machen.
- Wenn Sie fokussieren, koennten Sie einen nur dafuer vorgesehenen Stuhl verwenden. Nicht so gut ist der Sitz, auf dem Sie gewoehnlich arbeiten oder meditieren; falls doch, stellen Sie ihn anders als sonst.
- Sie koennen auch Gegenstaende verwenden, um einen Platz zu kennzeichnen, z. B. eine brennende Kerze oder ein Tuch; das hilft, einen abgegrenzten, sicheren Raum zu schaffen.
- Schaffen Sie sich bewusst einen Freiraum fuer das Focusing. Sie koennten z. B. zu sich selber sagen: „Dies ist meine Zeit fuer Focusing und die naechsten – Minuten nehme ich mir einen freien Raum, um bei dem zu sein, was meine Aufmerksamkeit haben moechte.“
- Sie koennten ein geliebtes Stofftier, wie einen Teddybaer, an den Platz Ihres Begleiters setzen. Das kann Sie daran erinnern, sich selber Akzeptanz und Sicherheit zu geben.
- Sie koennten sich auch Ihren bevorzugten Begleiter vorstellen, wie er vor Ihnen sitzt. Sie koennten sogar sein Foto aufstellen.
Dabei bleiben
Das dritte Hindernis beim Selbst-Focusing hat zu tun mit der inneren Aufmerksamkeit: ob Sie sich bewusst sind, wo Sie gerade im Focusing-Prozess sind und ob Sie ‚auf der Spur’ bleiben koennen.
Sobald ich mich hinsetze,
faengt meine Aufmerksamkeit zu wandern an.
Einige Vorschlaege:
- Versuchen Sie, sich selbst im Prozess ein bewusster Begleiter zu sein und geben Sie sich selber Antworten.
- Erinnern Sie sich selber daran, waehrend der Sitzung im ‚Hier und Jetzt’ zu bleiben.
- Stellen Sie sich einen Wecker oder nehmen Sie sich zumindest vor, eine bestimmte Zeit zu fokussieren.
- Sprechen Sie laut, auch wenn niemand da ist, der Ihnen zuhoert. Selbst Fluestern hilft.
- Zu wissen, wo Sie gerade im Prozess sind, kann helfen, den naechsten Schritt zu erkennen. Auch ein ‚Spickzettel’ kann Sie unterstuetzen, weiterzukommen.
- Sie koennen in ein Tonbandgeraet sprechen, immer wieder ein bisschen zurueckspulen und wieder anhoeren: so, als waeren dies (Listening-)Antworten eines Begleiters oder auch als Hilfe, um Ihre innere Spur wiederzufinden, nachdem Sie abgeschweift sind.
- Waehrend Sie Ihr Tagebuch am Computer schreiben oder in einem Heft notieren, koennen Sie eine Pause machen und nochmals lesen, was Sie geschrieben haben. Nehmen Sie sich dabei Zeit nachzuspueren, wie sich das im Koerper anfuehlt. Sie koennen in Ihren Aufzeichnungen verschiedene Farben verwenden fuer die ‚Focusing-Abschnitte’ und die anderen Inhalte.
- Wenn Sie am Computer etwas ‚blind’ eingeben koennen, ist es moeglich zu schreiben und gleichzeitig zu fokussieren. Verlieren Sie dann den Faden, koennen Sie aufschauen und nochmals lesen, was Sie gerade getippt haben.
- Es kann hilfreich sein, Stift und Papier bereit zu legen. Schreiben Sie die Worte auf, die Sie gewoehnlich einem Partner sagen wuerden, wie ‚nervoese Anspannung’. Kuemmern Sie sich nicht darum, vollstaendige Saetze zu formulieren. Wenn noetig, koennen Sie dann auf das Papier schauen und die Worte so verwenden, als ob Sie ein Partner spiegeln wuerde. Das macht Sie darauf aufmerksam, wo Sie gerade sind und ermoeglicht Ihnen, die Antworten darauf in Ihrem Koerper zu spueren.
- Gesten koennen sehr hilfreich sein, um in Kontakt mit dem zu bleiben, was innen ist. Spueren Sie z. B. etwas wie einen Knoten in Ihrem Magen, koennten Sie versuchen, mit Ihrer Hand dieses knotenaehnliche Empfinden auszudruecken. Lassen Sie sich Zeit, die Form und Bewegung zu finden, die fuer das passt, was innen ist.
- Zeichnen oder malen Sie, waehrend Sie fokussieren (mehr dazu spaeter).
- Es gibt noch eine andere Art, mit Gesten umzugehen. Beruehren Sie sanft mit einer Hand die Stelle Ihres Koerpers, an der Sie spueren, dass da etwas ist. So leisten Sie sich selber Gesellschaft bei dem, was dort ist.
Focusing in Ihr Leben integrieren
Fokussieren, waehrend man etwas anderes macht
Es mag ungewoehnlich klingen, aber einer der hilfreichsten Wege zum Selbst-Focusing besteht darin, es zu machen, waehrend man etwas anderes tut. Gerade Routineaufgaben sind dafuer bestens geeignet: gehen, buegeln, abwaschen, Umschlaege frankieren …
,Mini-Focusing’
,Mini-Focusing’ ist ein Weg, um Focusing zu einem selbstverstaendlichen Teil Ihres taegliches Lebens zu machen. Es zaehlen dabei sogar winzigste Augenblicke von Focusing-Aufmerksamkeit.
Mini-Focusing ist hilfreich,
- wenn Sie durcheinander oder aufgeregt sind,
- wenn Sie eine Entscheidung zu treffen haben,
- wenn Sie darauf warten, dass etwas geschieht,
- wenn Sie sich besonders wohl fuehlen,
- wenn Sie merken, es geht nichts vorwaerts,
- wenn Ihnen einfaellt, es waere etwas zu erledigen.
Zeichnen oder Malen beim Focusing
Manche Menschen finden, dass Zeichnen oder Malen (auch Modellieren) beim Focusing hilfreich ist. Andere finden, es lenkt ab. Vielleicht wollen Sie es ausprobieren. Wir kennen fuenf Arten, wie visuelle Prozesse Focusing unterstuetzen koennen. Sie koennen diese Moeglichkeiten nutzen, wenn Sie allein oder mit einem Partner fokussieren. Wir haben sie hier aufgenommen, weil sie sich als hilfreich erwiesen haben.
- Sie koennen den Felt Sense zeichnen oder malen, wie er sich in Ihrem Koerper anfuehlt, und die Zeichnung als eine Art Beschreibung (Symbolisierung) des Felt Sense verwenden. Dann spueren Sie in Ihrem Koerper nach, ob das Gezeichnete passt.
- Sie koennen den Fortschritt Ihrer Sitzung in einer Serie kleiner Bilder festhalten. Z. B. eine Person unter einem Scheinwerfer, eine Person auf der Treppe, eine Person mit zittrigen Beinen vor einem Publikum, und eine Person, der man Beifall spendet oder die man auspfeift …
- Sie koennen ein Mind-Map zeichnen: der Ort, an dem Sie beginnen, befindet sich in einem Kreis in der Mitte, und all das, was kommt, in konzentrischen Kreisen darum herum.
- Sie koennen das ganze ‚Gebiet’ und all die Teile darin aufzeichnen und Ihre Beziehungen zueinander.
- Sie koennen darstellen, was waehrend des Zeichnens in Ihrem Koerper auftauchte und was Sie dort fuehlten.
Achten Sie in jedem Fall darauf, dass das Zeichnen gegenueber Ihrem Focusing-Prozess zweitrangig ist. Zu allererst fokussieren Sie. Das Zeichnen ist wie ein Partner, eine Moeglichkeit, um Ihr Focusing zu verstaerken, zu vertiefen, in Resonanz zu kommen oder einen inneren Raum frei zu halten.
Heinz Urban ist Professor fuer Unternehmensorganisation und Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Kempten/Allgaeu, Focusing-Trainer (DAF) und Yoga-Lehrer (BDY/EYU)
Heute habe ich dazu keine Zeit, aber morgen sicher…
Halten Sie sich eine kurze Zeitspanne frei – beispielsweise fuenf oder zehn Minuten – um zu fokussieren. Auch wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit nur ein paar Minuten pro Tag nach innen lenken, werden Sie Ihre Erfahrungen im Focusing vertiefen und Ihre Fertigkeiten steigern.